Sophokles: Antigone: Kreon spricht zu seinem Sohn Haimon
Kreon — Wenn ich schon im eignen Haus
Zuchtloses fördre, wagt sichs draußen dreist hervor.
Wer sich im Kreis des Häuslichen als fester Mann
bewährt, der zeigt sich auch im Staate stets gerecht.
Solch einem Manne trau ich es wohl zu, dass er
gut herrschen kann und sich auch gern der Herrschaft fügt;
Wer sich empört und vergewaltigt das Gesetz
und meint, dass er den Führenden befehlen darf,
dem wird von meiner Seite niemals Lob zuteil.
Wen auch die Führung einsetze, man gehorche ihm
im Kleinen selbst, seis Recht, sei es das Gegenteil!
Der Übel größtes ist die Zügellosigkeit:
Sie rottet die Staaten aus, Siedlungen wandelt sie
in Wüsten; doch wo Gehorsam herrscht,
da gibt er allen Menschen Halt.
Drum gilts zu schützen, was der Ordnung dient.
Haimon Ja, Vater, von den Gaben, die uns Gott
geschenkt, ist wohl Besonnenheit die schönste.
Ich wüsste und vermöcht auch nicht zu sagen,
dass du mit alledem nicht recht gesprochen,
und dennoch könnt ein andrer anders denken.
So sei doch nicht der einen Ansicht nur,
bloß deine Meinung und sonst nichts sei richtig.
Denn wer sich selbst allein für weise hält,
für klug und für begabt und stark im Wort,
der wird doch bald als hohl erkannt.
Es schändet nämlich auch den Weisen nicht,
noch viel zu lernen, nichts zu überspannen.
Kreon Von diesem jungen Menschen da soll ich
in meinem Alter noch Vernunft annehmen?
Und Ungehorsam ehren, nennst Du gut?
Ja, soll die Stadt denn meine Herrschaft regeln?
Haimon Siehst du, du redest wie ein rechter Jüngling.
Kreon Für wen denn als für mich soll ich regieren?
Haimon Staat ist das nicht, was eines Mannes ist.